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Suzie Miller - Prima Facie - Volkstheater

Im intimen Rahmen wird das Publikum selbst zum Teil des Gerichtssaals: In „Prima Facie“ von Suzie Miller in der Dunkelkammer des Volkstheaters.

 

Tessa ist eine junge, ambitionierte und knallharte Strafverteidigerin. Niemals urteilen, und schon gar nicht hinterfragen, ob der Angeklagte die Tat begangen hat oder nicht, so lautet ihre Devise. Schließlich geht es als Verteidigerin nicht darum, Recht zu sprechen, sondern darum, die für den Mandanten beste Version der Geschichte zu erzählen. Eloquent, raffiniert und ohne Rücksicht auf Verluste. Oft sind Sexualstraftäter unter Tessas Mandanten, und gegen deren Opfer geht sie im Kreuzverhör knallhart vor, wie sie zu Beginn des Stücks stolz erzählt.

 

Doch dann erlebt sie selbst einen sexuellen Übergriff, der alles verändert. Ihr Kollege Julian vergewaltigt sie in einer durchzechten Nacht. Und das, nachdem die beiden bereits einvernehmlichen Sex hatten. Dass unter diesen Umständen die Tat vor Gericht schwer zu beweisen ist, weiß Tessa ganz genau. Und stellt sich dennoch der Verhandlung, denn, davon ist sie überzeugt: Es muss sich etwas ändern in der Rechtsprechung von Sexualdelikten.

 

Die Inszenierung von Laura N. Junghanns ist leise und intim, und bleibt dabei stellenweise dennoch zu sehr an der Oberfläche. Videoprojektionen, deren Mehrwert nicht klar erkennbar ist, und der Einsatz von Mikrofon und Nebelmaschinerie erinnern schmerzlich daran, dass Theater offenbar ohne diese Effekte heutzutage nicht mehr denkbar ist.

 

Anna Rieser verkörpert eine junge Frau, die sich aus der unteren Mittelschicht hochgearbeitet hat und sehr tief fällt. Ihre Darstellung ist facettenreich, mitunter aber aufgesetzt und unmotiviert. Besonders gut gelingt ihr allerdings, den Stress, unter dem Betroffene in einer solchen Gerichtsverhandlung stehen, nachvollziehbar zu machen. Dass sie oft schwer verständlich ist, liegt an einer Artikulation, die zwar die Wohnzimmeratmosphäre unterstreicht, aber für eine Theaterbühne, und sei sie noch so klein, schlichtweg nicht taugt.

 

Das Stück, im Jahr 2019 in Sydney uraufgeführt, überzeugt mit einer spannenden Geschichte, die viele Fragen aufwirft und für Diskussionsstoff sorgt, ohne selbst ein Urteil zu fällen oder mit erhobenem Zeigefinger auf Missstände hinzuweisen. Mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter ein Tony und zwei Laurence Olivier Awards, wurde es in London und New York City jeweils in Häusern mit etwa 800 Plätzen gespielt. Es fragt sich, warum das Volkstheater das Stück in die Dunkelkammer verbannt, anstatt ein so wichtiges Thema ins Licht einer größeren Bühne zu rücken.

 

Fazit

Sehenswertes Stück mit großer gesellschaftspolitischer Relevanz wird zum etwas blassen Dunkelkammer-Spiel.

 

Autorin: J.S.

 

FotoCredit: Marcel Urlaub

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